Mittwoch, 11. November 2015

Meine kleinen Monster

Der letzte richtige Unterricht


Ich habe es überlebt ohne zu weinen, einmal war ich kurz davor als mich ein Kind nochmal umarmen wollte aber ich habe es geschafft. Gestern habe ich das letzte Mal regulär Unterricht gehalten. Ab jetzt sind die letzten drei Wochen des Terms Examenszeit und da bin ich nur noch passive Aufsicht und halte aktiv keinen Unterricht mehr. Zum Abschluss habe ich für jede Klasse, die ich hatte eine kleine schöne Klassenparty mit Limo und Süßem veranstaltet. Sonntag habe ich mich extra einige Stunden hingesetzt und aus Tonpapier und viel Glitzer, kleine Glücksbringer für die Kinder, für ihr Examen gebastelt. Dieser hat dann jeder persönlich überreicht bekommen und eine fast-Abschied-'s-Umarmung gabs auch noch dazu.
Es ist unglaublich wie schnell die Zeit verging, wie die Wochen mit Unterricht verstrichen und der Term jetzt vorbei ist. Damit wird auch schon fast die Endzeit in Namibia eingeläutet, und dabei bin ich doch erst etwas über 3 Monate hier! Und jetzt muss ich schon das erste Fazit schreiben. Das Fazit zum Unterrichten.

Ja, wie war's eigentlich? Gute Frage, die Zeit verging so schnell, dass ich zwischendrin gar nicht zum reflektieren gekommen bin. Oft habe ich über die Schüler geschimpft weil sie zu faul waren, irrsinnige Antworten auf Fragen gegeben haben (vll. gibts da nochmal eine Top 5 von witzigen Schülerantworten von mir) oder weil sie einfach nicht das machen wollten, was ich aber gewollt hätte. Doch jetzt, so am Ende holt auch mich das Phänomen ein, dass wahrscheinlich jeder Lehrer kennt: Man kann sie noch so hassen - am Ende hat man sie doch ganz arg lieb die Schüler. Ich werde sie echt vermissen alle, bedeuten sie für mich immerhin das erste Mal für längere Zeit für Schüler und Unterricht ganz selbst verantwortlich zu sein.

Besonders am Anfang habe ich über die achte Klasse geschimpft, wohl eine der schlimmsten der Schule und doch, jetzt verlasse ich sie fast am wehmütigsten. Oft genug habe ich im Unterricht mit ihnen, meinen Kopf gegen die Wand hauen wollen oder langsam bis 10 zählen müssen um nicht an die Decke zu gehen. Doch dann, zwei Minuten später konnten sie mich wieder zum lachen bringen mit ihrem Versuch mich umstimmen zu wollen. Wie oft haben sie mich nach einer Freistunde gefragt und wie oft habe ich nein gesagt (fast jedes Mal). Aber jetzt kenne ich sie so gut nach dieser Zeit, jeden persönlich, dass ich ihnen all das nicht mehr übel nehmen kann. Und auch ich muss mich an meine eigene Nase fassen. Es lag sicherlich nicht alles an ihnen. Wenn wir mal ehrlich sind bin ich eine unerfahrene Lehramtsstudentin und außer einigen Praktikas habe ich kaum was an Erfahrung im Unterrichten und Klasse führen vorzuweisen. Und es kommt hinzu, dass das zwei völlig unterschiedliche Sachen sind! Unterrichten, würde ich mal sagen, kann ich schon relativ gut, werden wir im Studium doch sehr darauf gedrillt. Doch eine Klasse unter Kontrolle zu halten, 40 Minuten lang ist ein ganz anderes Kaliber. Die Klassen waren zwar wirklich klein (4-17 Leute) aber löscht man ein Flüsterfeuer am einen Ende der Klasse, entfacht sich am anderen Ende der Klasse gleich das nächste. Ich empfand es auch als Problem, dass die Kinder hier sehr auf Frontalunterricht gedrillt werden und die ganze Stunde leise zu sein. Kam ich also an und habe versucht (Sonderpädagogin die ich bin) Gruppenarbeit zu machen, dann flippte die Klasse gleich völlig aus und die Lautstärke drehte sich ins unendliche. Ich bin so den Unterricht aus Deutschland gewöhnt und Dinge die dort selbstverständlich sind, dass ich völlig perplex war als einfache Partnerarbeit hier zur völligen Eskalation führte.

Oft waren auch die Bedingungen sehr schwierig für mich. Bücher die ganz anders aufgebaut sind als in Deutschland und sehr textlastig sind (interessantes Lernen: Fehlanzeige), Klassenzimmer die notdürftig zusammengeschustert sind und auseinanderfallen wenn man sie zu böse anschaut (ich war mal in einem Klassenzimmer eingesperrt weil die Türklinge abgefallen ist) oder spontane Änderungen im Schulablauf, die mir niemand kommuniziert hatte. Doch die größte Lektion, die ich dabei gelernt habe, und die ich niemals mehr missen möchte: Sei spontan und flexibel!
Anders hätte ich hier schlichtweg nicht überleben können. Was soll man bitte tun wenn es keine Tafeln gibt und die Whiteboardstifte aus sind, oder der Kopierer mal wieder spinnt oder man im Musikunterricht nicht singen darf weil die Klassenzimmerwände nur aus Styropor bestehen und das viel zu laut für die anderen Klassen wäre oder die Kinder für den Film alle benötigten Requisiten daheim vergessen haben ODER die Hälfte der Klasse einfach nach Windhoek gefahren ist ohne, dass einem jemand Bescheid gibt oder, oder, oder... Ich kann noch tausende Sachen aufzählen.

Hier habe ich also sehr dazu gelernt und profitiert, auch wenn es für mich in der ein oder anderen Situation sehr schwierig zu reagieren war. Ich habe also jetzt völlig anderen Unterricht kennen gelernt und das ist gut. Das ist auch das was ich wollte als ich nach Namibia kam (neben tausend anderen Gründen). Und ich bin überzeugt davon, dass mir das alles später im Referendariat und in der Schule nutzen wird. Auch im Studium werde ich davon profitieren, ich weiß jetzt, dass ich noch verstärkt Erfahrung und Wissen brauche wie man eine Klasse führt und diszipliniert.
Aber ich bin echt so dankbar, auch für all die kleinen Erfahrungen hier. Zum Beispiel auch was es für einen Unterschied macht mit welcher Laune und Stimmung man in die Klasse kommt. War ich müde und hatte wenig Lust auf Unterrichten, war es praktisch garantiert, dass alles noch viel schlimmer werden würde. War ich entspannt, übertrug sich das auch auf die Kinder. Das ist eine wichtige Erfahrung, die ich sonst erst im Referendariat hätte machen dürfen. Als Lehrer bist du derjenige der die Klasse durch das Lernen führt. Und in der Art wie du die Klasse führst, entscheidet sich auch das Lernen. Das sind Sachen die man ahnt und schon oft gehört hat, aber sie am eigenen Leib zu erfahren wirkt sehr viel eindrucksvoller.

So das hört sich jetzt alles ein bisschen an als ob mein Unterricht immer nur Chaos gewesen wäre, ich hoffe dem war nicht so :D Nein, war er nicht. Oft wollte ich auch das Chaos. Was bringt einem eine Kunststunde, in der man basteln und seiner Kreativität freien Lauf lassen darf, wenn man kein einziges Wort sprechen darf?! Genau, nichts! Meine Vorerfahrung in der Geistigbehindertenpädagogik hat mir auch oft enorm viel geholfen. Es gab etwa einen Schüler, der immer sehr unruhig war und immer sein eigenes Ding im Unterricht machen wollte, unabhängig von seinen Schülern und wenn aber alle das gleiche machen wollte hat er gestreikt. Ich habe viele Diskussionen mit den anderen Lehrern hier geführt. Bei ihnen im Unterricht muss jeder das gleiche tun und ich bin mir sicher, dass das auch in vielen deutschen Klassenzimmern Alltag ist. Doch damit geht doch der Individuelle völlig verloren. Ich persönlich bin der Meinung, dass man im Rahmen des Möglichen alles versuchen sollte den Einzelnen zu beachten und in der Gruppe zu stärken. Für mich sah die Lösung dann so aus, dass ich den Jungen einfach habe machen lassen. In seinem Tempo, wann er möchte und wenn die Extrawurst nicht allzu schlimme Folgen hatte, habe ich aus das zugelassen. Wen interessiert es in der Klasse (eingeschlossen mich) wenn ein Einzelner Zeitung liest bevor er das Arbeiten anfängt, solange er am Ende, so wie die anderen fertig ist? Genau, wieder niemanden. Ganz im Gegenteil, bei der Doppelstunde Kunst ging es viel entspannter, auch für die anderen zu, wenn ich dem Jungen ohne große Diskussion seine Extrawurst erlaubt habe und damit alle Ruhe hatten. Oft war er dann derjenige der in der zweiten Stunde am konzentriertesten gearbeitet hat.
Aber gut, über solche Kinder kann man sich stundenlang unterhalten und viele Lehrer mit viel Erfahrung werden da auch wieder eine ganz eigenen Meinung haben die wahrscheinlich genauso berechtigt ist. Das war jetzt einfach mal etwas pädagogisches Gelaber meinerseits, das ihr ertragen musstet. Und wenn ihr dazu auch eine Meinung habt, dann fühlt euch frei in den Kommentaren auszutoben. Ich bin immer interessiert an Austausch :)

Um aber zu Thema irgendwie wieder zurück zu kommen, erzähle ich euch noch etwas mehr über meine Klassen. Zuerst wäre da meine 4. Bestehend aus 5 Kindern. Wer jetzt meint, 5 Kinder wären entspannt zu händeln - weit gefehlt - sie hatten mindestens genauso Zündstoff wie die 17 Achtklässler. Vier von diesen fünf waren solche Plappermäuler, dass ich kaum zu Wort gekommen bin. Alle Kunstaktionen waren erstmal furchtbar langweilig, einer hat ständig gegessen und die die anderen konnten nicht still sitzen. Am Ende habe ich mir auch noch ein Riesen Projekt aufgebrummt und wollte mit den Kinder einen Film drehen. Ich muss wahnsinnig gewesen sein. Das Projekt hat Wochen verschlungen und mich bis an meine Grenzen gebracht. Immerhin, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Und falls es möglich ist, werde ich den Film vielleicht hier hochladen. Das war also meine 4.

In der Fünften habe ich Deutsch Introduction und auch Kunst gegeben. Diese Klasse waren wohl meine Lieblinge. Oft zuckersüß und so motiviert. Für sie war deutschlernen noch Spaß und Freizeit und das hat es mir einfach gemacht ihnen die Farben in deutsch und Obst- und Gemüsesorten, sowie Begriffe vom "Frühstück" beizubringen. Gestern haben wir ein großes Abschlussquiz veranstaltet und jeder war eifrig bei der Sache und fast alle Fragen konnten richtig beantwortet werden. Auch mit der Fünften habe ich einen Film gedreht. Es war ein ebenso großer Aufwand aber das Ergebnis ist, genau wie bei den 4. einfach "lovely". Gestern haben wir zum Abschluss Weihnachtskarten gebastelt (es waren knapp 40 Grad dazugesagt) und das Ende vom Lied war eine riesige Glitzereskalation im Klassenzimmer - nie wieder Glitzer zum basteln, nie wieder...

Von der 8. habt ihr schon viel gehört. Jugendliche in der anfänglichen Pubertät zu unterrichten macht richtig Spaß :D die meisten von ihnen fanden Geschichte wohl eher nicht so spannend und das macht es für mich natürlich ungemein schwieriger sie für den Unterricht zu begeistern. Aber immerhin habe ich viel über namibische Geschichte gelernt. Wer also unbedingt gerne mal testen möchte wie er mit Frustration umgeht, dem kann ich die Klasse nur empfehlen :D kurz vor den Examen, nachdem wir zwei Monate nur darüber geredet haben welche Stämme vor dem 19. Jahrhundert nach Namibia kamen, erzählt mir doch nicht tatsächlich einer der Schüler mit vollem Ernst, dass vor dem 19. Jahrhundert noch gar keine Menschen in Namibia gelebt hätten. Aha, wofür stand ich nochmal jeden Tag vor euch?? Trotzdem, oder vielleicht genau deswegen (weil es ja doch irgendwie lustig ist...) werde ich sie unheimlich vermissen.

Und zu guter Letzt noch meine zwei 9. Klässlerinnen. Neben den Possessivpronomen und Präpositionen, die ich ihnen (hoffentlich) beigebracht habe, habe ich auch noch ganz viel über den aktuellen Gossip in der Schule erfahren können, sowie viel über Liebeskummer. 15 zu sein ist wirklich ganz schrecklich! Deutsch als Fremdsprache zu unterrichten ist etwas völlig anderes als es Muttersprachlern beizubringen. Und wenn ich eins gelernt habe, dann: Deutsch ist eine verdammt schwierige Sprache. Wie bringt man etwa jemanden die Fälle bei (ihr erinnert euch, Genitiv, Dativ usw. - - - ihr werdet euch wahrscheinlich eher nicht erinnern), wenn es sowas im englischen und afrikaans nicht gibt? Sehr schwierig. Ich drücke ihnen für ihr End-of-Term-Examen alle Daumen und bin gespannt, was sie tatsächlich behalten haben.

Soderla, das war es jetzt erst einmal wieder von mir mit einem langen Blogeintrag. Das Abenteuer Namibia ist noch nicht ganz vorbei...

Montag, 9. November 2015

Colour Party

Das Leben ist eine Leinwand - das Bild musst du selbst malen!





So sieht man aus, wenn man eine Colour Party gefeiert hat - sehr bunt! Wer noch nie auf einer Colour Party war, für den erkläre ich das Prinzip noch einmal. Eigentlich kommt das Fest aus Indien, wird aber mittlerweile überall auf der Welt als Anlass genommen mit Farbpulver Bomben um sich zu schmeißen, alle Leute dabei bunt zu machen und zu tanzen und zu feiern. Die Schüler meiner Kollegen aus Otjiwarongo haben für den guten Zweck  (um für ihre Schule Geld zu sammeln) auch so ein Farben-Fest veranstaltet. Und wenn ich hier in Namibia eins gelernt habe dann Alkohol zu trinken, die Feste so zu feiern wie sie fallen :D nein, nein, keine Angst, es gibt auch Tage dazwischen wo es nichts zu feiern gibt...

Also habe ich mich vor einigen Tagen nach Otjiwarongo aufgemacht. Es liegt etwa 2,5 Stunden von Grootfontein entfernt. Doch nicht nur ich habe mich dorthin aufgemacht, viele meiner Kollegen, die in ganz Namibia verstreut waren, sind auch dorthin gefahren. Viel kann man zu dem Abend nicht erzählen, ich lasse die Bilder einfach für sich sprechen. Es war auf jeden Fall sehr farbenprächtig, lustig und ausgelassen.